Nicht einmal die königlichen Hochzeiten bescherte Großbritannien so viel Aufmerksamkeit, wie es der Wahlgang vom 23. Juni noch heute und wohl noch einige Zeit länger tun wird. Mit 51,9 Prozent stimmten die Briten für einen Austritt aus der Europäischen Union. Enorme Kursstürze sowohl von Leitindizes als auch von der britischen Währung Pfund waren die umgehende Folge. Außerdem hatte in Großbritannien ein Wahlkampf Erfolg, der kaum auf Fakten, sondern fast nur auf Emotionen setzte.
Die Zukunft Europas ist nun absolut ungewiss. In unsicheren Zeiten verschärft diese Entscheidung der Briten die globale Situation nur noch zusätzlich. Oder ergeben sich dadurch auch neue Chancen, und was dachte sich die Bevölkerung auf der Insel eigentlich dabei?
Welche Folgen hat Brexit?
Diese Liste ist jetzt schon lang, obwohl sie noch unvollständig ist, da sich viele Auswirkungen erst mit der Zeit zeigen werden. Die verschiedenen Konsequenzen lassen sich in diese Kategorien unterteilen:
- Innenpolitische Folgen
- Wirtschaftliche Folgen
- Europäische Folgen
- Internationale Folgen
Die Innenpolitischen Auswirkungen von Brexit
Die erste offensichtliche Konsequenz ist der Rücktritt des Premierministers David Cameron. Noch befindet sich das Staatsoberhaupt zwar noch im Amt, aber im Oktober 2016 gibt er die Verantwortung über das Austrittsland ab. Darüber hinaus dürfte der Einfluss von Nigel Farage und seiner rechtspopulistischen Partei UKIP zunehmen und eine viel restriktivere Flüchtlings- bzw. Migrationspolitik dürfte sich bald in Großbritannien durchsetzen.
Aber das Potential für innenpolitische Umwälzungen ist noch viel größer. Teile des Vereinten Königreichs, die in erster Linie für einen Verbleib in der EU gestimmt haben, sprechen nun offen über eigene Unabhängigkeitsreferenden.
62 Prozent der Schotten stimmten für die EU und dort ist die kommende Abstimmung über die Unabhängigkeit sehr wahrscheinlich und höchstwahrscheinlich auch von Erfolg gekrönt, nachdem ein ähnliches Referendum im Jahr 2014 nur knapp scheiterte.
Wallace aus dem Film Braveheart würde sich über die Loslösung von den Briten freuen. In Gibraltar stimmten sogar 96 Prozent für die EU und Spanien verhandelt schon bezüglich einer geteilten Souveränität über das Steuerparadies. Es könnte also sein, dass der Rechtspopulist Farage das geschafft hat, was Spanien mit der Armada versuchte und die Deutschen in zwei Weltkriegen nicht schafften: Die Vernichtung des Vereinten Königreichs.
Die Wirtschaftlichen Auswirkungen von Brexit
Wie die britische Wirtschaft mit dem EU-Ausstieg zurechtkommt, muss sich erst herausstellen. Die unmittelbaren Folgen waren ein starker Kurssturz des Pfund Sterling und hohe Volatilität an der Börse.
Ein niedriges Pfund wäre per se gut für den Export, aber dieser positive Effekt wird sich wohl kaum durchsetzen. Dieser Abfluss von Kapital wird die Briten sehr hart treffen, da viele Investitionen nun aus Großbritannien abfließen und da England ein hohes Handelsbilanzdefizit aufweist. Außerdem muss sich erst herausstellen, wie der wichtigste Wirtschaftszweig des Sektors mit dem Austritt umgeht. Die Finanzdienstleister stehen noch vor viel Ungewissheit.
Die Europäischen Auswirkungen von Brexit
Im ersten Moment war der Schock über die Wahlentscheidung in vielen EU-Ländern natürlich groß. Nur die rechtspopulistischen Parteien freuten sich über den Sieg ihres Kollegen. Verschiedene EU-Funktionäre luden sofort zu entsprechenden Gipfeln. Doch nachdem der erste Schreck nun verflogen ist und sich der Staub legt, nehmen eigentlich viele EU-Länder den Austritt sehr positiv auf. Europafreundliche Parteien sehen Brexit als neue Chance für ein starkes Kerneuropa. Natürlich muss sich in Brüssel nun etwas ändern, aber ganz genau deshalb ergibt sich viel Potential für eine Verbesserung der teilweise sehr schwerfälligen EU-Bürokratie.
Es könnten zwar durchaus noch andere Mitgliedsländer dem Beispiel von Großbritannien folgen. Vor allem Ungarn oder Polen wären entsprechende Kandidaten, aber da diese Staaten für viel Uneinigkeit innerhalb der EU sorgen (z. B. keine Akzeptanz der Aufnahmequote für Flüchtlinge), dürften auch diese Austritte die verbleibende EU eher stärken als schwächen.
Zusatz: Natürlich beeinflusst die Entscheidung auch viele Briten, die in Kerneuropa arbeiten oder studieren und viele Europäer, die in Großbritannien einer Arbeit oder einem Studium nachgehen. So fragen sich gerade Studenten, ob sie noch ihren Abschluss machen können.
Internationale Auswirkungen von Brexit
Vor allem die Konsequenzen für die Präsidentenwahl in den USA besitzt besondere Sprengkraft. Denn die Brexit-Befürworter ähneln in vielerlei Hinsicht den Trump-Fans. Die ersten Reaktionen von Trump fielen folglich sehr positiv aus, aber da die Berichte über Breget (das Bereuen der Wahl) zunehmen, stellt sich die Frage, ob sich nicht auch die Amerikaner fragen, dass sie es bereuen könnten, Donald Trump zu wählen. Aber gerade da mittlerweile viele Briten ihre Entscheidung bereuen, stellt sich auch die Frage, wie konnte es eigentlich zu diesem Wahlergebnis kommen?
Wie kam es zur positiven Abstimmung zu Brexit?
Den Wahlkampf von Farage zu beobachten und die Gründe für den Sieg von Brexit zu erforschen scheint sehr aufschlussreich, da sich viele Parallelen zu anderen Ländern, vor allem auch zur Präsidentschaftswahl in Österreich, ziehen lassen:
- Anklage des Establishments
- Viele Emotionen und wenig Fakten
- Vermischung mit der Flüchtlingskrise
- Hervorheben von Fremdkontrolle
Der Kampf gegen das Establishment
Nigel Farage stellte es im Wahlkampf so dar, als ob die EU nur den Reichen nützen würde. Dadurch erhielt er viele Stimmen aus der Arbeiterklasse, die auch unzufrieden mit der aktuellen Regierung waren. Es wurden also viele Proteststimmen gegen das Establishment abgegeben und diese Wähler interessierten sich gar nicht für Brexit oder erkannten die Tragweite eines EU-Ausstiegs. Genau deshalb wird nun viel von Wählerreue berichtet. Außerdem passt das Ansprechen der ungebildeten Arbeiterklasse auch zu den weiteren Strategien des Brexit-Wahlkampfs.
Parallele: Der Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer versuchte auch in Österreich seinen Kontrahenten als Teil des Establishments darzustellen, da er so die Arbeiterklasse auf seine Seite ziehen konnte. Donald Trump verwendet in den USA die gleiche Strategie. Zudem führten gerade Proteststimmen zum großen Wahlerfolg der FPÖ in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl.
Viele Emotionen und wenig Wissen
Der ganze Wahlkampf von Farage baute auf eingängige Sprüche auf und Fakten über die EU wurden kaum ins Feld geführt. Um klare Fakten zu verstehen, muss nachgedacht werden, aber das strengt an und da Menschen meist zu Trägheit neigen, funktionieren Parolen einfach besser. Was dabei herauskommt, wenn Fakten bei Wahlen missachtet werden, zeigt die derzeitige Situation in Großbritannien. Schon wenige Tage nach der Wahl möchte eine Mehrheit der Briten ihre Entscheidung wieder zurücknehmen.
Hinweis: Schon die Google-Daten bestätigen das eingeschränkte Wissen vieler Wähler. Nachdem die Stimme abgegeben wurde, googelten viele, was die EU ist oder was Brexit bedeutet. Wer eine Mehrheit mit solchen Wählern erreicht, kann sich bald am süßen Geschmack des Sieges verschlucken.
Ungerechtfertigtes Anführen der Flüchtlingskrise
Auch Nigel Farage bediente sich der Flüchtlingskrise. Ständig wurde der freie Personenverkehr der EU kritisiert, obwohl Brexit mit viel mehr zu tun hat, als nur mit dem Aussperren von einigen Migranten. Gerade bei der Arbeiterklasse, die um ihre Jobs fürchtet, zieht dieses Argument jedoch immer.
Parallele: Auch im österreichischen Präsidentenwahlkampf war die Flüchtlingskrise ein großes Thema, obwohl der Präsident kaum etwas mit dieser Thematik zu tun hat.
Die Anklage von Regulierungen
Von der Fremdkontrolle zu klagen, die Brüssel ausübt, zieht auch immer, da so ein anonym wirkender Feind auf die Anklagebank gesetzt wird. Vor allem die Handelsregulierungen führte Farage oft an. Erst nach Brexit wird nun auf die Mehrheit der Experten gehört, die schon zuvor prognostizierte, dass die Aufhebung dieser Regulierungen kaum Vorteile bringt. Darüber hinaus meinte Farage, dass all das Geld, welches an Brüssel gezahlt wird, nach einem Ausstieg ins Gesundheitssystem fließen würde. Diese Aussage hat sich schon jetzt als Lüge herausgestellt.
Fazit: Der ganze Wahlkampf wurde folglich nicht anders als von anderen Rechtspopulisten irgendwo auf der Welt geführt. Die Motive der Wähler unterschieden sich demnach auch nicht. Der große Unterschied ist nur, dass dieser Wahlkampf einen großen Erfolg erzielte, aber schon wenige Tage nach diesem Sieg offenbaren sich die furchtbaren Folgen, wenn eine rechtspopulistische Idee siegt. Gerade deshalb könnte Brexit noch sehr legendär werden.
Wenn der Ausstieg noch irgendwie abgewendet wird, sich Schottland abspaltet oder die Wirtschaft in Großbritannien zusammenbricht, dann wäre dies der größte Sieg für die Vernunft seit Jahrzehnten. Alle Menschen der Welt würden wieder mehr nachdenken, bevor sie wählen, und Rechtspopulisten könnten überall zurückgedrängt werden, da ihre falschen Versprechen am Beispiel England aufgedeckt werden können.
Wie geht es nun mit Brexit weiter?
Diese Frage lässt sich nur mit Mutmaßungen beantworten. Die EU und Berlin wollen schnelle Austrittsverhandlungen. Cameron verhindert dies aber so direkt, dass es bereits strategisch wirkt. Der derzeitige Premierminister will erst im Oktober 2016 zurücktreten und erst sein Nachfolger soll die Verhandlungen führen. Es bleibt also viel Zeit und schon jetzt gibt es viele Denkansätze, um Brexit doch noch zu verhindern. Die nächsten Wochen werden zeigen, wie sich die Wirtschaft in Großbritannien entwickelt. Ein kurzer Wirtschaftsschock war nicht zu vermeiden, aber wenn die Prognose der Experten tatsächlich eintreten und viel Kapital die Insel verlässt, dann wird wahrscheinlich alles versucht, um doch wieder Teil des europäischen Wirtschaftsprojekts zu werden. Wenn dies eintritt, würde das die EU unglaublich stärken und rechtspopulistische Parteien in die Knie zwingen. Im Moment lässt sich dieses Szenario schon realistisch am Horizont erkennen.
Hinweis: Ein Nachteil in diesem Fall wäre, dass die EU wenig Gründe hätte, irgendetwas intern zu ändern und die Bürokratie muss unbedingt in Brüssel abgebaut werden, um ganz Europa handlungsfähiger zu machen.
Welche Auswirkungen hat Brexit auf den Goldpreis?
Nach der Wahlentscheidung am 23. Juni schnellte der Goldpreis wegen der entstehenden Unsicherheit in die Höhe. Ein typischer Effekt, aber wenn tatsächlich eine Stärkung der EU eintreten würde, indem die Briten ihre Entscheidung revidieren oder ein Kerneuropa einfach besser funktioniert, dürfte dies für mehr Vertrauen an den Märkten sorgen, als wir es seit Jahren erleben. Das würde den Goldpreis drücken. Da ein Großteil der Signale auf eine derartige Beruhigung der Situation hindeutet, sollte nicht auf einen dauerhaft steigenden Goldkurs gesetzt werden. Sogar wenn die wirtschaftliche Situation in Großbritannien schnell stabiler wird und Brexit bestehen bleibt, würde dies mittelfristig den Goldkurs drücken.
Hinweis: Wenn weitere Länder die EU verlassen und Donald Trump in den USA die Wahl gewinnt, wird der Goldkurs hingegen auf einen Höhenflug geschickt.